Dortmunds Götze erinnert in Amsterdam immer mehr an Messi
Beim Erfolg von Borussia Dortmund bei Ajax Amsterdam war Mario Götze der überragende Spieler. Beim Triumph in der Champions League gab er den Zeremonienmeister. Er wirkte an allen vier BVB-Toren mit. 29 Minuten waren gespielt, als sich Mario Götze, Mittelfeldspieler von Dortmund, links im eigenen Strafraum den Ball schnappte und nach vorne eilte. Als er an der Mittellinie angelangt war, erinnerte dieses Solo zum ersten Mal an jenen legendären Lauf von Barcelonas Superstar Lionel Messi im Jahr 2007 beim Sieg im spanischen Pokal gegen Getafe, und die Zuschauer rissen die Augen auf. Aber anders als der Argentinier verstolperte der deutsche Nationalspieler im letzten Moment den Ball. Es wäre eine bedeutungsschwere Szene und nicht nur eine Randnotiz gewesen, hätte der Deutsche Meister am Mittwochabend im Gastspiel bei Ajax Amsterdam nicht eine großartige Performance abgeliefert. Er tat es aber und zog mit einem 4:1 (3:0)-Sieg am vorletzten Spieltag der Gruppenphasse als Gruppensieger ins Achtelfinale der Champions League ein. Und das lag eben vor allem an Götze, dem zwar die Kopie des unvergessenen Messi-Treffers verwehrt blieb, der aber in einer sehr guten Dortmunder Mannschaft der überragende Spieler war. Der 20-Jährige hatte sein Team schon beim 3:1 gegen Greuther Fürth am vergangenen Bundesliga-Spieltag begeistert, als er das 1:1 durch Robert Lewandowski vorbereitete und selbst zum Endstand vollendete. Dass es für Götze keinen Unterschied macht, ob der Gegner Fürth oder Amsterdam heißt, bewies er am Mittwochabend. Beim 1:0 spielte er Doppelpass mit Marco Reus, der locker zur 1.0 Führung einschoss (8.). Beim 2:0 wuselte sich Götze irgendwie durch die Abwehr der Gastgeber und zog dann ab – der Ball landete im kurzen Eck (36.). Auch am dritten Treffer war der Nationalspieler maßgeblich beteiligt. Seinen Freistoß aus 20 Metern ließ Ajax-Keeper Kenneth Vermeer nach vorne abprallen. Lewandowski staubte ab (41.), die Entscheidung war damit schon vor der Pause gefallen. Im zweiten Abschnitt flankte Götze den Ball in den Strafraum, erneut traf Lewandowski zum 4:0. Bevor den Niederländern durch Hoesen der Ehrentreffer gelang (87.) hatte Jürgen Klopp seinen besten Mann schon ausgewechselt, er hatte genug gezaubert. Es war eine Weltklasseleistung, an allen vier Toren war er beteiligt. "Mario spielt auf einem unglaublichen Niveau, und das mit 20 Jahren, überragend, was er da spielt", schwärmte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. Nach dem noch ausstehenden Rückspiel gegen Manchester City, in dem es um nichts mehr geht, beginnt für Borussia Dortmund im neuen Jahr die Ko.-Runde. Ajax-Trainer Frank de Boer hatte in dieser Woche gesagt, der BVB sei einer der Favoriten auf den Halbfinal-Einzug. Das war noch vor dem 4:1-Sieg der Borussia, als de Boer noch nicht wissen konnte, zu was Mario Götze in der Lage ist.
Ein Nickerchen – und schon bist du deinen Job los
Die Torhüter sind am ärmsten dran, in der Bundesliga darf keiner von ihnen auch mal nur kurz die Seele baumeln lassen – sonst ist er bei diesem Überangebot an starken Rivalen ganz schnell arbeitslos. Dieser Tage hat Jupp Heynckes behauptet: Der Job des Trainers beim FC Bayern ist der zweitschwerste in Deutschland – hinter dem der Bundeskanzlerin. Da kann Manuel Neuer nur lachen. Oder ist auf Angela Merkel je ein Ball mittels einer so perfiden Flugkurve gepfeffert worden wie am Samstag dieser Flatterball von Feulner in Nürnberg oder auf den Bayern-Trainer da draußen auf seiner überdachten Bank mit den beheizten Sitzen? Ein Torwart muss heutzutage Augen vorn und hinten haben, und er hat keine ruhige Minute. Moskaus Dynamo-Schlussmann Schunin wurde übers Wochenende von Feuerwerkskörpern getroffen und das Spiel gegen Zenit St. Petersburg abgebrochen. In Südafrika flogen Steine gegen den Mannschaftsbus von Sambia – die Glassplitter trafen den Torwart Kennedy Mweene dermaßen, dass er an Ort und Stelle mit etlichen Stichen genäht werden musste. Den Job des Torwarts hätte Heynckes also nicht vergessen dürfen, als er die Kanzlerin und sich bedauerte. Die Torhüter sind am ärmsten dran, vor allem in der 1. Bundesliga darf keiner ein Nickerchen halten oder die Seele baumeln lassen, sonst ist er bei diesem Überangebot an starken Rivalen sofort seinen Job los. Der Druck ist jedenfalls größer als der Genuss. "Ich habe Dreck gefressen", fasste neulich Rene Adler vom HSV seine vergangenen zwei Jahre zusammen. Aber bleiben wir doch noch kurz bei Neuer. "Wollen Sie mich verarschen?", hat er den ARD-Reporter in Nürnberg angemeckert, als der von einem Patzer sprach – aber wie lässt ein amtlich anerkannter Torverhinderer Nummer eins, wenn die Kugel so um die Kurve kommt, darüber hinaus noch Luft ab? Wie verbringt er den Samstagabend? Gießt er sich fünf Bier hinter die Binde, vermöbelt er die Frau, sperrt er sich in den Keller weg, spielt er mit der Modelleisenbahn? Lachen Sie nicht?
Frank Rost, der lange einer der Besten war, hat an einem unvergessenen Abend im ZDF-Sportstudio packend geschildert, wie er sich mit seiner Eisenbahn vom Stress erholt. Adler hat seine Ängste dieser Tage geschildert. Der Druck hat ihn zeitweise fast depressiv werden lassen. Vor zwei Jahren war er die deutsche Nummer eins, aber nicht zur WM nach Südafrika ist er geflogen, sondern senkrecht ins Nichts abgestürzt: "gestern Torwächter, heute Nachtwächter. Der Boden unter den Füßen war weg", sagte Adler. Jetzt ist der Albtraum beendet, er ist wieder oben, auf Augenhöhe mit Neuer, während Letzterer schon stabiler daherkam. Macht ihm der Adler im Nacken zu schaffen?
Das Torwartleben ist kompliziert. Auch auf Schalke. Dort zittert Lars Unnerstall seit Wochen, denn drei gleich starke Torhüter sind zwei zu viel. Timo Hildebrand, sein schärfster Rivale, hat es einmal so gesagt: "Unser Job ist ein Tanz auf der Rasierklinge." Extremsport. Wie Bergsteigen. Die Luft da oben ist dünn, der Grat schmal, und der Torwart ist einsam – er treibt sein Unwesen dann gern als Extremist, Eigenbrödler, Einzelkämpfer oder Egoist, geimpft mit dem Vitamin E der Einzelhaft. Seine Zelle ist ein 7,32 Meter breiter und 2,44 Meter hoher Käfig ohne Bett – denn schlafen darf er keine Sekunde, die Rivalen warten nur drauf. Ein Fehlgriff, und weg – das ist viel Druck für einen 22-Jährigen, und damit Unnerstall ihn aushält, ist es kein Fehler, wenn ihn sein Vordermann Kyriakos Papadopoulos nach einer hübschen Parade gelegentlich einen dicken Kuss auf die Wange gibt. Du musst einen Torwart gießen wie eine Blume, sonst geht er ein. Als Roman Weidenfeller neulich in Madrid in letzter Minute widerstandslos Özils Freistoß reinließ, log Dortmunds Trainer Jürgen Klopp: "Wenn er eine richtige Torwartbewegung macht, haut er sich den Kopf blutig." Nein, wenn er eine richtige Torwartbewegung gemacht hätte, hätte er das 2:2 verhindert – aber Klopp tat, war er tun musste. Er redete seinen Torwart stark. Torwart kommt von Tortur, und der Druck wächst immer weiter. Die Flatterbälle werden jedes Jahr tückischer, und beidfüßig ballzaubern muss der moderne Torwart, im Spiel doppelt so viel laufen wie einst Gerd ("Bomber") Müller, er muss Steilpässe schlagen, Konter abfangen und Libero spielen. 90 Minuten Konzentration heißt das, und am wichtigsten ist der Psychologe. Denn ein Torwart darf nicht über Fehler grübeln und muss beim Tunnelblick jeden lähmenden Geadnken ausschalten – jedenfalls ein Torwart in der Bundesliga. Wir haben zu viele gute Torhüter. Ibrahims Fallrückzieher aus 25 Metern, den neulich der beste englische To
rwart als Seichbogen reinließ, hätte der zehntbeste deutsche Torwart noch im Rückwärtsstolpern mit der Kappe gefangen – jedenfalls tobt in der Bundesliga der Konkurrenzkampf derart, dass du als Torwart am besten aus Hartholz geschnitzt bist und Nerven wie Stahlseile haben solltest, zumindest aber eine Modelleisenbahn. Womit wir wieder zu den Hobbys und Tim Wiese kommen, den wir jetzt fast vergessen hätten. Das ist auch einer von denen, die sich in dieser Saison öfter mal fragen, warum sie nicht etwas Gescheites gelernt haben. Erst wurde der Hoffenheimer von Jogi Löw degradiert, und in der Liga kommt er sich seither häufig vor wie die Zielscheibe in einer Schießbude – womöglich sollte Wiese seine alten Hobbys wieder intensiver pflegen. Zwei Modellflieger hat er früher begeistert steigen lassen, drei Meter lang, zwei Meter Spannweite, und dann war da noch, meldete "Bild", ein Meerwasser-Aquarium für 500 Liter. Für einen Torwart unter Stress gibt es nichts Schöneres, als farbigen Fischen beim Schwimmen zuzuschauen. Was hilft aber nun gegen eine krumme Gurke? Wie entspannt Manuel Neuer? Sammelt er Giftschlangen oder Orchideen, topft er im Gewächshaus den "Stern von Madagaskar" um, spielt er mit Bleisoldaten die Schlacht bei Tannenberg anno 1410 nach? Irgendein Ventil sollte er jedenfalls pfeifen lassen gegen den Überdruck aus diesem Flatterball von Feulner, der ihm da plötzlich um die Ohren geflogen kam wie eine krumme Gurke. In dem Moment, ob es Jupp Heynckes glaubt oder nicht, wäre Manuel Neuer lieber Bayern-Trainer gewesen – und gern sogar Kanzlerin.