October 27, 2012

Bundestipp 27.10.2012

Schweden kann überall lauern

Es droht Langeweile im Meisterrennen, aber Obacht, eine Saison dauert 34 Spieltage. Es ist also schon so weit. "Bild" vermeldet, dass die Bayern den Rathausbalkon in München zwecks Meisterfeier reservieren können, pflichtschuldigst haben die stets differenzierten Kollegen noch ein "wohl" in den Satz eingebaut, für den Fall der Fälle, dass es nicht klappt. Aber was soll da noch schiefgehen, schließlich sind ja schon, äh, hoppla, ach halt, es sind erst acht Spieltage absolviert. Ist es vielleicht nicht doch ein bisschen arg früh, dem FC Bayern zu gratulieren? Das wäre so, als ob man einem US-Präsidenten nach neun Monaten Amtszeit bereits den Friedens-Nobelpreis verleihen würde, stopp, schlechtes Beispiel.
Neuer Versuch: das wäre so, als ob man einen Film nach Begutachtung der ersten 15 Minuten mit dem Oscar auszeichnet. Schon besser. Vielleicht kommt es so, aber nachts ist es kälter als draußen, und man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen. Und Schweden 4:4 gewinnen sehen. Der Dienstag war Gold wert. Weil der alte Herberger mal wieder bestätigt wurde mit seinen 90 Minuten, die ein Spiel dauert. Vorbei ist es erst, wenn Schluss ist. Schweden hat damit auch der Zunft der Kommentatoren ein Argument geliefert, warum man ein langweiliges und extrem einseitiges Spiel vielleicht doch besser bis zum Abpfiff anschauen sollte. Mehrfach wurde am Samstag auf dem Bezahlsender "Sky" daran erinnert, dass es aktuell vom Spielstand her vielleicht nicht gerade spannend sei, aber dass sich das jederzeit ändern könne. Siehe Schweden! Also bloß nicht umschalten! Oder gar ausschalten! Schweden kann schließlich überall sein. Auch in der zweiten Liga. Dort hat der 1. FC Köln schwedisch gespielt – aus 0:2 mach 3:2 in sechs Minuten. (1:2 87. Min., 2:2 (90.) 3:2 (90+3). Schweden ist auch die gute Nachricht für den VfL Wolfslburg und für dessen aktuell etwas unzufriedenen Fans. Nicht die Nerven verlieren, alles kann gut werden. Der größte freie Fall seit Felix Baumgartner ist ja bereits getoppt. Der VfL ist zum Stillstand gekommen. Erdkontakt nach acht Spieltagen, tiefer geht es nicht mehr. Aber das heißt ja erstmal nix, jetzt gilt es nur, nicht am Boden zu bleiben. Apropos nicht am Boden bleiben. Das erinnert uns an den legendären Box-Weltmeister Micky Ward, dessen Lebensgeschichte ("The Fighter") 2011 für den Oscar nominiert war. Ward boxte, wie Schweden in Berlin spielte. Ein Prügelknabe wie der VfL Wolfsburg. Ein Mann mit einmaligen Nehmerqualitäten. Einer, der niemals aufgab. Und am Ende meistens gewann. In diesem Sinne, eine Saison dauert 34 Spieltage.

Erbarmen, die Hessen kommen

Eintracht Frankfurt bleibt der erste Bayern-Jäger und ist der nächste Gegner des VfB Stuttgart. Als Armin Veh 2007 den VfB Stuttgart zum Titel geführt hatte, da machte er es sich in seinem Trainersessel gemütlich und prustete: "Jetzt bin ich deutscher Meister. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen." Das war allerdings ein grandioser Irrtum. Danach lief es erst beim VfB schief, danach in Wolfsburg und dann beim Hamburger SV. Erst jetzt liefert der Schwabe aus Augsburg mit der Frankfurter Eintracht einen neuen Beleg seines Könnens. Und manch Detail dieses Höhenflugs zeigt Parallelen zu seiner großen Zeit beim VfB Stuttgart. Er arbeitet mit einer Mischung aus erfahrenen Spielern (Zambrano, Schwegler, Meier) und ergänzt das Gerüst mit Jung-Profis wie Rode, Inui oder Aigner. Sie alle vereint die Gier nach Erfolgen. "Das ist eine tolle, sehr ehrgeizige Mannschaft", sagte Hannovers Trainer Mirko Slomka nach der 1:3 Niederlage beim ersten Bayern-Jäger dieser Saison. "Davor kann man wirklich nur den Hut ziehen". Dann wanderte sein anerkennender Blick durch den Presseraum: "Wenn es schon in der Liga so voll ist, dann müsst ihr für den internationalen Fußball aber bald anbauen", sagte Slomka an Armin Veh gewandt. Leidenschaftlich, aggressiv und bei Ballgewinn mit blitzschnellen Attacken in die Spitze siegte der Aufsteiger in bisher 6 von 8 Spielen. Und nicht selten hieß die Parole des Gegners: "Erbarmen, die Hessen kommen". Der Song der Rodgau-Monotones aus den 90erJahren hat schon ein wenig Patina angesetzt, doch er passt ganz gut zur Geschichte des Traditionsklubs, dessen letzte große Auftritte just aus jener Zeit stammen. In der Saison 1991/92. schwärmte die Liga von der besten Eintracht seit jeher, doch am Ende verpasste sie den Titel. Meister wurde der VfB Stuttgart – Gegner der Hessen am kommenden Sonntag (15.30 Uhr/Mercedes-Benz-Arena). Jetzt träumen die Fans wieder von großen Zeiten. Mittelfeldspieler Rode sagt: "Sie dürfen das." Offiziell allerdings bleibt das Ziel der Klassenverbleib. "Es ist erfreulich, dass wir dem wieder einen Schritt näher gekommen sind", sagte Trainer Veh nach dem Sieg gegen die Niedersachsen und lächelte.

Hoeneß lobt Löw und tritt gegen Magath nach

Uli Hoeneß übt mal wieder den Rundumschlag. Während Wolfsburgs Felix Magath sein Fett wegkriegt, darf sich Bundestrainer Joachim Löw diesmal über warme Worte des Bayern-Präsidenten freuen. Da soll noch einer sagen, Uli Hoeneß könne nur meckern. Nachdem der Präsident des FC Bayern München den Bundestrainer vergangene Woche vor dem 4:4 gegen Schweden noch hart kritisiert hatte, fand er diesmal vor dem Champions-League-Spiel seiner Mannschaft beim OSC Lille lobende Worte für Joachim Löw. "Er ist ein Mann, dessen Arbeit ich sehr schätze", sagte der 60-Jährige beim Ständehaustreff in Düsseldorf. Er tausche sich mit Löw oft aus, "wenn aber jemand am Boden liegt, trete ich nicht drauf". Ich habe vorher die Dinge angesprochen. Meine Ansichten hatte ich ihm schon zehnmal gesagt, bevor ich es dem Spiegel gesagt habe. Hoeneß hatte die angeblich zu große Harmonie in der Nationalelf hinterfragt. "Löw wurde schon mit Gott verglichen". Löw hatte am Montag eigene Fehler im Spiel gegen die Schweden zugegeben. Und betont, dass er sich mit den vielen Ratschlägen intern auseinandersetze. "Selbst wenn sie in eine völlig andere Richtung gehen. Wir gehen nicht über alles hinweg. Ich finde es gut, wenn es mir persönlich gesagt wird und nicht über die Medien, aber selbst dann setzen wir uns mit manchen Dingen auseinander, greifen sie auf und prüfen sie selbstkritisch, da natürlich auch wir nicht frei sind von Selbstkrtik." Was die Zukunft von Löw als Bundestrainer über die WM 2014 in Brasilien hinaus anbelangt, ist für Hoeneß entscheidend, wie er mit dem Druck der Medien fertig wird. Er habe bisher unglaublich viel Anerkennung. Nach dem Griechenland-Spiel wurde er doch schon mit Gott verglichen. Weniger als für Löw scheint Hoeneß für Felix Magath übrig zu haben. "Wenn die Spieler so wenig laufen, sind sie entweder vom Training kaputt oder spielen gegen den Trainer", sagte er über den angeschlagenen Trainer des VfL Wolfsburg. Hoeneß vergleicht die Situation mit Magath's Engagement beim deutschen Rekordmeister. "Wenn du es mit zwei Titeln in Folge schaffst, 80 Prozent der Spieler gegen dich aufzubringen, stimmt etwas nicht. Das scheint auch das Problem in Wolfsburg zu sein". Magath reagierte gelassen auf die Kritik. "Das interessiert mich nicht. Herr Hoeneß kann doch zu allem etwas sagen. Der Tabellenführer wird ja gern zu allen Themen gehört", sagte er.
Magath hatte die Bayern 2004/2005 und 2005/2006 zu zwei Doublegewinnen geführt. Im Januar 2007 wurde er dennoch in München entlassen. Bei den Wöl
fen läuft es derzeit für den 59-Jährigen gar nicht gut. Nach sieben Spielen ohne Sieg stürzte sein Team an Wochenende auf den letzten Tabellenplatz ab. Für Magath wird deshalb die Luft in Wolfsburg langsam dünn. Der Aufsichtsrat des Klubs trifft sich noch in dieser Woche mit dem 59-Jährigen zu einer Krisensitzung, in der wir die sportliche Situation erörtern werden, sagte Francesco Javier Garcia Ganz der "Wolfsburger Allgemeinen". Der VfL-Aufsichtsratschef erklärte: "Wir machen das zusammen mit dem Trainer. Er ist derjenige, der ganz nah an der Mannschaft ist." Der Meister von 2009 liegt nach acht Spieltagen mit nur fünf Zählern und 2:15 Toren jetzt auf Rang 18. Die erhoffte Wende am vergangenen Samstag gegen den SC Freiburg war nicht gelungen, vor eigenem Publikum gab es eine 0:2-Pleite. Nächster Konkurrent ist am Samstag auswärts Fortuna Düsseldorf.

Löw macht Fehler, ist aber der richtige Mann

Eine Woche lang schwieg Joachim Löw. Jetzt hat der Bundestrainer ausführlich über die verspielte 4:0-Führung gegen Schweden gesprochen. Und bewiesen, dass er bereit ist, aus diesem Spiel zu lernen. Joachim Löw hat etwas sehr Wichtiges getan. Er hat öffentlich Fehler eingestanden. Zwar erst eine Woche nach dem peinlichen 4:4 gegen Schweden, doch deutlich früher als nach dem EM-Aus gegen Italien. Damals hatte er rund sechs Wochen verstreichen lassen und dazu beigetragen, dass es viel Raum für Kritik und Spekulationen gab. Löw hat offensichtlich daraus gelernt und bewiesen, dass er sich auch im Alter von 53 Jahren entwickelt. "Ich bin nicht beratungsresistent und selbstherrlich, und ich bin nach der Blamage von Berlin motiviert, die Schwächen meiner Mannschaft auszumerzen" – das war seine Botschaft. Jürgen Klopp hat am Wochenende zugegeben, dass er die Derbyniederlage seiner Borussia Dortmund gegen den FC Schalke 04 mit einer falschen Taktik verschuldet hat. Wenn ein Bundesligatrainer so selbstkritisch ist, verdient das Respekt. Wenn der Bundestrainer selbstkritisch ist, verdient es noch mehr Respekt. Bayerns Präsident Uli Hoeneß hat ihn auch prompt gelobt. Löw steht noch mehr im Fokus als Klopp und geht die Gefahr ein, dass ihm seine Offenheit als Schwäche ausgelegt wird. Vor dem EM-Halbfinale gegen Italien wurde er als fehlerloser Bundestrainer dargestellt. Das ist Löw nicht. Und das ist auch gut so. Niemand will einen aalglatten Roboter als Kopf der Nationalelf. Es ist verständlich, dass Löw nach dem Spiel gegen Schweden einige Tage brauchte, um sich zu sammeln und die Partie zu analysieren. Er sagt, dass er von einem "Kassernenton" nichts hält. Es wäre nicht authentisch, sollte Löw solch einen einschlagen. Das würde ihm keine abnehmen, erst recht nicht seine Spieler, die seit Jahren mit ihm arbeiten. Löw betonte, dass er seinem Stil treu bleiben will. Das ist der richtige Weg – solange es nicht bedeutet, dass er sich nicht in einigen Punkten wandeln kann. Seine Mannschaft ist längst nicht am Ende der Entwicklung. Löw auch nicht. Er und Nationalelfmanager Oliver Bierhoff sind bis zur WM 2014 in Brasilien gefordert, sich Fragen zu stellen: Wie schaffen wir es, weiterhin begeisternden Fußball zu spielen, ohne in der Defensive anfällig zu sein? Bayerns Trainer Jupp Heynckes macht mit Arjen Robben und Franck Ribery vor, wie das Zusammenspiel zwischen Offensivstars und den weiteren Mannschaftsteilen funktionieren kann. Und wie bilden wir unsere künftigen Nationalspieler aus? Eine enge Zusammenarbeit mit Robin Dutt, Sportdirektor des Deutschen Fußball- Bundes ist dabei die Grundlage. Ballbehandlung, Laufwege und taktisches Verständnis sind nicht alles. Die Nationalmannschaft braucht Spieler, die sich wehren, die ihre Kollegen aufwecken, wenn ein Spiel zu kippen droht. Profis wie Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger haben das Potenzial dafür, sie müssen es aber auch nutzen. Löw sagt, er wolle keinen Spieler, "der auf Freund und Feind einschlägt". Tatsächlich ist das kein Allheilmittel. Spanien hat ohne einen solchen die Welt- und Europameisterschaft gewonnen. Aber ein bisschen von dem Dreckschwein-Gen eines Mario Balotelli und der Präsenz eines Zlatan Ibrahimovic würde den Deutschen sehr gut tun. Dutts Vorgänger Matthias Sammer betont immer wieder, wie wichtig diese Individualität ist. Entdeckt Löw dies bei Spielern, sollte er es in gesundem Maße fördern. Löw begreift das 4:4 als Warnung zum richtigen Zeitpunkt. Seine Äußerungen deuten daraufhin, dass er auf dem richtigen Weg ist. Und weiterhin der richtige Bundestrainer.

Dortmunds Polizeipräsident droht mit Geisterderbys

Nach den heftigen Krawallen beim Revierderby BVB gegen Schalke hat der Dortmunder Polizeipräsident Norbert Wesseler mit Derbys in leeren Stadien gedroht. Vereine und Fans müssen nun endlich handeln. Acht verletzte Polizeibeamte, erheblicher Sachschaden und insgesamt 180 in Gewahrsam genommene Randalierer, darunter 163 Schalker und 17 Anhänger des BVB – das war abseits des Platzes die traurige Bilanz nach dem Revier-Derby. Der Polizeipräsident droht jetzt nach diesen Krawallen mit härteren Maßnahmen "Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir überlegen müssen, ob zukünftig Spiele ohne Gästefans stattfinden oder verschoben werden müssen", sagte der Dortmunder Polizeipräsident der "Bild". Und als letzte Möglichkeit drohen Geisterspiele, wenn Vereine und Fans nicht endlich handeln, so Wesseler weiter. Er äußerte sich sehr schockiert über die Krawalle rund um das Revierderby. "Die Hooligans wollten sich treffen, die wollten sich gegenseitig verletzen. Eine Demo mit solchem Gewalt-Potential hätte ich verbieten müssen." Auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke und Schalkes Aufsichtsrats-Vorsitzender Clemens Tönnies verurteilten die Krawalle aufs Schärfste. Weil bereits vor dem Derby mit Auseinandersetzungen gerechnet worden war, waren mehr als 1.000 Beamte zum Einsatz gekommen, etwa viermal so viele wie bei normalen Bundesliga-Spielen in Dortmund. Nach Berechnung der Deutschen Polizei-Gewerkschaft verschlingt der polizeiliche Schutz von Fußballstadien derzeit pro Saison etwa 100 Millionen Euro an Steuergeldern.

Zitat

"Eigentlich bin ich Nichtraucher. Ich brauche gar keine".
Schalkes Torhüter Lars Unnerstall, nachdem er von Dortmunder Fans mit Feuerzeugen beworfen worden war.