Verteidigerproblem in der Nationalelf
Die Debatte um eine Rückkehr von Kevin Kuranyi in die Nationalelf ist zweitrangig. Bundestrainer Jogi Löw hat nämlich noch ein größeres Problem: in der Innenverteidigung fehlt ein verlässlicher Partner für Per Mertesacker. Die Kandidaten schwächeln, Alternativen sind rar – oder werden vom Bundestrainer ignoriert.
Es geht um eine Baustelle, die schon seit mehreren Jahren besteht. Eine Lösung hat Jogi Löw allerdings bisher noch nicht gefunden: Und so ist noch immer unklar, wer bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika neben Per Mertesacker in der Innenverteidigung auflaufen soll.
Löw hat viel ausprobiert. Im Jahr 2009 durften sich in elf Länderspielen vier Kandidaten präsentieren. Sechs mal ließ Löw den Schalker Heiko Westermann von Beginn an auflaufen, Arne Friedrich und Serdar Tasci spielten vier mal in der Startformation. Robert Huth stand einmal beim Anpfiff auf dem Platz. Schlauer geworden ist Löw trotzdem nicht. Denn für einen Stammplatz hat sich in der Nationalmannschaft niemand aufgedrängt.
Auch der Gradmesser Bundesliga taugt nichts. Tasci, der zuletzt in Löws Gunst stieg, spielt eine mäßige Saison. In der vorherigen Partie wurde er von Stuttgart-Trainer Christian Gross sogar auf die Bank gesetzt. In der Partie am Samstag gegen Mönchengladbach durfte er zwar wieder mitwirken, spielte aber schlecht und muss wohl wieder auf die Bank rücken. Heiko Westermann kommt zwar bei Schalke regelmäßig zum Einsatz, allerdings nicht immer in der Innenverteidigung.
Zudem spielte er eine für seine Verhältnisse mäßige Saison. Immerhin erhielt er 2008 und 2009 die meiste Einsatzzeit neben Mertesacker in der Nationalelf und ist mit ihm gut eingespielt. Die nächste Option, Friedrich, ist bei Hertha zwar noch einer der besseren Spieler in einem schlechten Team – mehr aber auch nicht. Huth ist ohnehin außen vor. Für Löw bedeutet das Mängelverwaltung der Bestenauslese.
Dass es der Bundestrainer innerhalb von mehreren Jahren nicht geschafft hat, die Position adäquat zu besetzen, hat mehrere Gründe. Einige liegen bei Löw, einige außerhalb seines Einflussbereichs. Löw kann nichts dafür, dass es kaum geeignete Innenverteidiger in der Altersklasse ab 24 Jahren aufwärts gibt. Da schlagen noch immer die Versäumnisse in der Jugendausbildung der achtziger Jahre durch.
Denn der heute verlangte Spielertyp kam in den Ausbildungsplänen damals noch nicht vor. Neben defensiven Qualitäten, die naturgemäß erforderlich sind, muss ein Innenverteidiger heute am besten groß gewachsen sein, dazu stark am Ball. Passsicherheit gehört ebenfalls zu den modernen Anforderungen, um den Spielaufbau nach Ballgewinn möglichst reibungslos einzuleiten. Mittlerweile haben Standardsituationen in der Offensive eine so hohe Bedeutung bekommen, dass auch Torgefahr zu den Attributen eines kompletten Verteidigers gehören sollte. Kurz: Die Ansprüche sind stark gestiegen, die Ausrichtung auf diese Elemente wurde in der Ausbildung zu spät umgesetzt. Von den aktuellen Kandidaten erfüllt Tasci am ehesten die Voraussetzungen.
Allerdings, und das ist der Vorwurf, den sich Löw gefallen lassen muss. es gibt Alternativen. Er hat sie bislang nur noch nicht berücksichtigt. Mats Hummels bringt, seitdem er in der Winterpause der Saison 2007/2008 nach Dortmund kam, beständig gute Leistungen auf der linken Innenverteidigerposition und würde mit dem eher auf der rechten Seite agierenden Mertesacker perfekt harmonieren. Schalkes Benedikt Höwedes bewegt sich seit knapp eineinhalb Jahren auf sehr hohem Niveau. In der Innenverteidigung spielt er wie Mertesacker ebenfalls eher rechts orientiert, allerdings hat er auf Schalke schon bewiesen, dass er flexibel einsetzbar ist. Trainer Felix Magath ließ ihn schon als linken und rechten Außenverteidiger auflaufen.
Genauso verhält es sich mit HSV-Abwehrtalent Jerome Boateng. Doch der hat wie Westermann das Problem, von seinem Trainer Bruno Labbadia nur unregelmäßig in der Innenverteidigung eingesetzt zu werden. Holger Badstuber vom FC Bayern München hat in dieser Saison bewiesen, dass er auch international mithalten kann, ist aber in manchen Spielen wie jetzt gegen Manchester United überfordert.
Löws Wahl fällt wohl auf Tasci oder Westermann, obwohl Mertesacker lieber mit Westermann zusammen spielt. "Bislang hat sich bei großen Turnieren immer ein gutes Innenverteidigerduo herauskristallisiert", meinte Mertesacker, "und das wird auch dieses Mal klappen".
Vielleicht findet sich noch eine Alternative. Am Wochenende feierte übrigens Christoph Metzelder bei Real Madrid seinen zweiten Ligaeinsatz in dieser Saison.